Als am 11. April 2009 das New Yorker Magazin n+1 das Symposium "What was the hipster?" in der New-School New York abhielt, ahnte noch keiner, dass sich diese Bewegung, zumindest in Mitteleuropa, noch lange nicht erledigt hatte. Junge, oftmals bärtige Männer aus dem urbanen Lebensraum, die den Ideen der Jagd, des Hirschgeweihs, des Cowboy-Saftburgers, des Craftbiers und der Weindegustation, sowohl sexuell als auch professionell stark verbunden sind, prägen bis heute das Bild des post-modernen, post-kapitalistischen Stadtlebens.
Wie alle Jugendkulturen entstand und (über-)lebte auch die Hipsterkultur wahlweise entlang, gegen oder mit jenen politischen und ästhetischen Gesellschaftsentwicklungen, die ganz allgemein populäre bis hegemoniale, nicht notwendig politische Bewegungen - also schlicht den Mainstream - repräsentieren. Und natürlich ist es ganz richtig zunächst einmal festzustellen, dass sich praktisch alle Jugendkulturen immer auf irgendeine Art und Weise auf die dominanten, herrschenden, gesellschaftlichen Verhältnisse bezogen haben, es den wenigsten aber je gelingt diese wirklich zu repräsentieren oder gar zu dominieren. Die meisten Jugendbewegungen verorten sich, dem Alter ihrer Protagonisten und Protagonistinnen angepasst, meist in einem narzisstischen "gegen" die herrschende Vaterordnung. Wofür dann Versatzstücke alter oder halb neuer, meist extrem halbgarer Ideologien und Ressentiments, als Waffe des zornigen, jungen Mannes herhalten müssen. Und damit folgerichtig ziemlich folgenlos bleiben. Ein klassisches Problem des Erwachsenwerdens eben. Auch wenn man konstatieren muss, dass heute selbst 50-Jährige das Problem des Erwachsenwerdens anscheinend niemals wirklich für sich je ganz gelöst haben, und deswegen beim Ausagieren ihrer Verschwörungstheorien heute massenhaft Zuspruch von Gleichaltrigen bekommen.
Es ist nun aber nicht etwa so, dass Jugendkultur schlechthin ein Pegel für einen labilen oder sich gar verändernden, gesellschaftlichen Zustand der Situation wäre. Denn jugendliche Delinquenz war seit jeher eher ein Stabilisator für das Systems. Vor allem so lange sie nicht aus ihrer narzisstischen Ecke heraus kam (was sie ja oftmals auch nachvollziehbarerweise gar nicht wollte). Neuere Beispiele für gesellschaftspolitisch (nicht ästhetisch) weitgehend folgenlose Jugenkulturen wären Punk, Rave, oder Gothic. Während ältere, jugendliche Delinquenzen, wie zum Beispiel die hysterische, religiöse Besessenheit, der zumeist adoleszente Mädchen anheimfielen, weil es gerade für diese schlicht die einzige Möglichkeit war sich in und mit einem System der systematischen, patriarchalen Unterdrückung zu entäußern (sprich auf der individuellen Ebene zu wehren), ebenfalls gesellschaftspolitisch folgenlos blieben. Schlimmer noch. Sie endeten irgendwann in der Fabrik, in der die Energie ihrer einmalig empathischen Religiosität, zumindest was ihre protestantische Form betrifft, bestens ausgebeutet werden konnte. Für Jungs blieb da meist nur der Alkohol oder das ziemlich tröge und unspektakuläre, heimliche Onanieren unter der Bettdecke. Und gerade in ihrer übertriebenen Affirmation bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse besteht zwischen hysterischer, religiöser Besessenheit und emphatischem Hipstertum eine besondere, innige Verbindung.
Und doch gibt es einige wenige Beispiele der neueren Geschichte der Menschheit, bei denen Jugendkulturen ein Lebensgefühl repräsentiert haben, und durchaus wollten, das genau dem was der Gesellschaft als ganzer, im guten wie im schlechten, bevorstehen sollte, einen starken Ausdruck gegeben hat. Mehr noch, diese Jugendbewegungen standen selbst, ob sie das wollten oder nicht, an der Wiege der gesellschaftlichen Entwicklungen und wurden schließlich in der ein oder anderen Weise, mit dieser hegemonial, also "erwachsen".
Zwei Beispiele (vielleicht die einzig erfolgreichen der Moderne) gilt es hier zu nennen. Zunächst wäre da die romantische Jugendbewegung des Hohen Meißners, die nicht nur Ihresgleichen erst mit dem Eros der Idee des Völkischen und der damals noch neuen Idee der Anti-Politik bekannt gemacht hat (ein Quell der Freude der Auflehnung gegen die Elterngesellschaft), und die damit erst in den Wald und dann begeistert in den 1. Weltkrieg marschiert ist, bis sie sich schließlich im Nationalsozialismus endgültig mit der Mehrheitsgesellschaft verschmolzen hat. Zum anderen wäre da natürlich die 68er Bewegung zu nennen. Die einzige Bewegung, die eine wirklich nachhaltige Revolution tradierter Werte nach 1789 zustande brachte. Und zwar indem sie fundamentale Konstanten der bis dato immer noch patriarchalen, familiären Ordnung, zumindest ökonomisch nachhaltig dekonstruierte. Solche die auch die Französische Revolution, und auch nicht die Pariser Kommune, je in der Lage waren dauerhaft zu durchbrechen.
Nach 68 war damit der Weg frei jenem von den letzten ständischen und nun auch familiären Beschränkungen befreiten Subjekt endlich das uralte Versprechen der Aufklärung für seine grundsätzliche Autonomie einzulösen. Die Kehrseite dieser Revolution waren jedoch ausgeflippte Technohippies von Stewart Brand ("Whole Earth catalogue") bis Steve Jobs (i-Alles), spirituelle Sinnsuchende in proto-faschistischen Wohngemeinschaften (Otto Muehl), Terroristen mit dicker Hose und Pornobrille (RAF und The Symbionese Liberation Army), bis schließlich zu jenen bekoksten Wallstreet Managern der ersten Stunde (Gekko a.k.a. Dennis Levine), deren libertärer Punk uns bis in die Finanzkrisen des neuen Jahrtausend und schließlich in den Zynismus der Nerdindustrie, von Möllemann bis zu den Piraten begleitet hat.
Denn der Narzissmus der pubertären Aufmüpfigkeit, und der demonstrativen Haltlosigkeit der hyperindividuellen Selbsterfahrung und Selbstermächtigung der 68er Jugendbewegung, hat als Lebens- und dann als Unternehmensstil den ökonomischen Neo-Liberalismus befeuert wie kaum eine andere Bewegung (Google: "Don't be evil!").
Und welchen Platz nimmt in dieser illusteren Reihe nun unser bärtiger Jungmann ein? Was oder wer war oder ist heute der Hipster?
Zunächst einmal erscheint es offensichtlich, dass im Vergleich zu den Großfesttagen, Fackelzügen und den spektakulären Aufmärschen der Bündischen Jugend, sowie im Vergleich mit den Aktivistinnen auf den brennenden Barrikaden in Paris und Kreuzberg der 68er, diese possierliche, bärtige Jungmannbewegung auf ihren Fixies in den wenigen belebten Zonen westlicher Innenstadtviertel beiden Großjugendbewegungen der jungen und der reiferen Moderne auch nicht nur im entferntesten das Wasser reichen kann. Was hat diese Bewegung also, als sie irgendwann Anfang der Nuller-Jahre in Brooklyn und Portland das Licht der Welt erblickte, was hat sie ästhetisch und programmatisch angekündigt, was sich nun langsam aber sicher, hegemonial, politisch und gesellschaftlich hervortun würde?
Wohlgemerkt, nicht jede Jugendbewegung etabliert sich notwendigerweise in den klassischen Zonen der gesellschaftlichen und politischen Delinquenz. Eine andere Möglichkeit der Selbstidentifikation ist, wie bereits angedeutet, immer auch die der Hyperaffirmation (siehe den Fall hysterischer Spiritualität). Die These ist hier also die, dass die Hipster Bewegung nichts weiter als die ästhetische und lebenspraktische Blaupause einer aufkommenden Hysterie der Verdinglichung (Steve Jobs) und ihres notwendigen Hangovers (Donald Trump) ist. Ihre substantielle Qualität drückt sich gerade auch darin aus, dass sie in kaum einer direkten Verbindung zu vorhergehenden, modernen Jugendbewegungen zu stehen scheint. Denn, gerade was ihre Strategie der Hyperaffirmation des kommenden Zeitgeists betrifft, steht sie, wie gesagt, eher in einer Verbindung zu vor-modernen, feudalistischen Delinquenzen, als zur modernen Form einer widerständigen, sich selbst gegen den Mainstream organisierenden Jugendbewegung der klassischen Moderne. Sie ist damit ganz Ausdruck und Protagonist eines Phänomens, das von "Dschihad for Wuppertal" bis zum "Business Punk"-Magazin in der Geschichte der Moderne so ganz für sich steht.
Der Soundtrack der Hipsterbewegung ist der einer grassierenden Entpolitisierung, der Gentrifizierung der Innenstädte, und vor allem eines intimen, erotischen Verhältnis zur Wissensökonomie und natürlich dem grandiosen Scheitern an ihr, inklusive aller Formen der Frustration des Verlassenen, Zurückgewiesenen und seiner gebrochenen, tief verletzten Identität. Der Kern der Hipster-Bewegung ist zu gleichen Teilen das Schwelgen im Schein, wie das Leiden am existentiellen Identitätskater danach. Der Glamour der überdrehten, hysterischen Geste eines Anzugs mit zu kurzen Ärmeln endet für den Hipster fast immer in der schlichten Profanität einer zu kurzen Hose. Nicht zufällig ist die hässliche Fratze der Hipsterbewegung, quasi der Spiegel ihres hyper-positivistischen, hyper-affirmativen Äußeren, der durch die sozialen Netzwerke, wie durch die dunklen Gassen westlicher Metropolen geisternde, "scary" Clown, der alle "normalen" Menschen, nicht etwa zum Lachen bringt, sondern, im Gegenteil, in Angst und Schrecken versetzt. Ins Unheimliche, Erhabene!
Die Hipsterbewegung ist also im Gegensatz zur hedonistischen Jugendkultur der 90er ganz Unterhaltungs- und eben keine Spaßkultur. Denn Hipsterkultur ist eine Bewegung der Hyperaffirmation des So-seins der gesellschaftlichen Bedingungen wie weiland die religiöse Hysterie adoleszenter Menschen im Feudalismus. Sie ist dadurch heute als Bewegung in einem Maße ökonomisch verwertbar, wie es die hedonistische Spaßkultur des Gehenlassen und des Kontrollverlusts, oder auch des Müßiggangs niemals war. Und die Hipsterbewegung ist damit Ausdruck und Avantgarde eines untergehenden Kapitalismus und der Vorbote eines aufkommenden Neo-Feudalismus, einer Ordnung der Status-symbole, -gesten und der Kultobjekte.
Natürlich teilen sich die Hipster mit den Ravern, genau wie mit der Meißner-Jugend und der RAF einen für jede Jugendbewegung essentiellen Narzissmus als Ausdruck ihres dialektischen Verwobenseins mit der Mehrheitsgesellschaft. Im Gegensatz zu jenen ist der Narzissmus der Hipster-Bewegung aber niemals delinquent sondern eben immer hyperaffirmativ. Die Ästhetik des Hipsters ist die einer Ganzheit, einer Inklusion. Sie strebt nach Authentizität, nach dem reinen Wald, dem selbst geschöpften Bier, dem ganz echten, erdigen Leben, nach dem Jäger UND dem Sammler, nach dem ganzen, richtigen, authentischen Leben und seinem So-sein.
Das Hobby als Ausdruck eines gespaltenen Subjekts, der Trennung der ökonomischen von der subjektiven oder privaten Sphäre, ist demgegenüber sozusagen die Antithese der Hipsterbewegung. Und andersherum ist das Hobby zum Beruf zu machen, demnach der indentifikatorische Kern der Bewegung. Also genau die Ideologie, in der es die Hipster zur Meisterschaft gebracht haben. Was bei Hannes Wader oder Andreas Baader (der Berufspoet und der Berufsterrorist), jedenfalls was ihre Ästhetik betrifft, noch als Affront gegen die nine-to-five Angestellten Spießergesellschaft durchging, ist für die Hipsterbewegung die hyperreale Affirmation des "Work Hard, Play Hard". Also eines Unternehmenslifestyles in dem noch jedes "After work"-Besäufnis Teil der Unternehmenskultur und damit Teil des mehrwertschöpfenden Plans ist.
Damit ist hyperindividuelle, gerne irgendwie "individuell" unangepasst aussehende Selbstverwirklichung a la "Bonnie & Clyde" in und mit der Hipsterbewegung massenkompatibel geworden - und wenn auch nur was die schlecht sitzenden Anzüge betrifft. Und damit haben die post-kapitalistischen, modernen Gesellschaften, in denen die kapitalistische Logik der Verdinglichung an alle verfügbaren, ästhetischen Oberflächen drängt, in der Fetischisierung des Wissens, von Steve Jobs bis Evon Musk, und sicher bis zum Frankfurter Hyperlibertären Peter Thiel, durch die Hipsterkultur ihre adäquate, kaffeebohnenröstende Jugendbewegung bekommen. Eine Bewegung, die das allgemeine Bedürfnis nach Anti-Politik des Weltwutbürgertums (also der ganzen Opfer genau jener kapitalistischen Verdinglichung), sowie das Bedürfnis nach dem wahren, authentischen So-seins in Form von direkter Demokratie oder autochthoner Rebsorten, die Ästhetik wissender Informiertheit - die den Wutbürger erst jahrzehntelang penetriert und schließlich pervertiert hat - im Terror des ewigen Bescheidwissens verpackt: im Labern über Wein.
Natürlich ist die Hipsterkultur damit nur ein Opfer des googelnden Zeitgeist, der Wikipedia- und Lattemacchiatisierung der Welt. Doch ihre Macht und vor allem ihr gentrifizierender Terror in allen Lebensbereichen ist real. Denn die Anti-Politik der Hipster-Ästhetik, ihre Politik (!), merzt alles aus, was nicht unmittelbar und innerhalb ihres Kosmos funktional ist.
Wie wir "wissen" ist es nun einmal cool wenn die Kneipen, Bars und Clubs in der Stadt so sind wie sie heute nun mal "faktisch" funktionieren. Und die Faktizität dieser Ästhetik setzt sich durch. Was sich nicht der Ästhetik des Sommeliers, der kreativen Gourmetküche, oder des selbstgebrauten, bionuklearen Vintage Fahrrads anpasst wird vertrieben. Das gilt gerade auch für die Hipster der ersten Stunde. Also für diejenigen, die Anfang der Nuller-Jahre noch alles für einen großen, hedonistischen Spaß hielten. Heute kehren die Geister ihrer albernen Einfälle (total bescheuerte Idee in einem ehemaligen Kurzwarenladen, in dem das "Fellina formt vollendet" Schild noch an der Decke hängt eine Bar zu eröffnen - haben wir mal lustig gefunden) als Zombies an jeder Straßenecke zurück, wie die düsteren Terrorclowns der Nerd- und Beta-Männer.
Und wer sich das entweder nicht leisten kann, oder das alles eigentlich "gar nicht soooo ernst" gemeint hatte, der muss gehen.
Verdinglichung heißt, das bloß Behauptete, genau wie das Gemessene oder das Gewußte (das Gemeinte!) als Wirklichkeit zu affirmieren. Verdinglichung bedeutet also das bloß Faktische zu fetischisieren! Verdinglichung ist die Behauptung, dass "der Wein geschlürft werden muss" und deswegen schlürft man den Wein, was zur Folge hat, dass behauptet wird, dass "der Wein geschlürft werden muss" und man deswegen den Wein schlürft, - usw...
Denn der Kern der Bewegung ist heute die völlig undialektisch, eindeutige, authentische Geste das Hobby - ach was, das ganze Leben - zur professionellen Identitätsperformance zu machen. Also die gerne künstlerische, aber eigentlich bloß lüsterne Selbstverwirklichung, in einen immer schon professionellen Alltag einzubetten: in eine Wirklichkeit aus Fakten und Wissen. Ins genaue, authentische So-Sein des Cool-seins des Hipsters.